So viele und doch so wenige …

Grundsätzlich sind wir stets bemüht, euch „neutrale“ Berichte über die Rettungen zu geben, also weder reißerisch noch schmusig. Manchmal überwältigen einen aber trotzdem die Gefühle und so kann es passieren, dass ein solcher Text eher zur Meinungsäußerung wird, als zu einem Bericht. 

Während der Vermittlung für unsere Hennen der vergangenen Rettung haben wir uns sehr gefreut, dass der Betreiber der Anlage uns 50 bis 100 Hennen mehr als ursprünglich vereinbart, zusagte. Nicht nur Ihr, als Adoptanten, freut Euch über die süßen Hennen in Euren Gärten, auch wir freuen uns über jedes einzelne Leben, das wir retten können. Und so haben wir telefoniert, gequatscht und Listen geführt, um ca. 600 Hennen in ein Leben zu führen, das aus Freiheit und dem „Geliebt-werden“ als Haustier besteht.

Am Morgen der Rettung war ich als Vorbereiter des Übergabeortes in MG bereits relativ übellaunig unterwegs, da ich in den Tagen vorher die Bilder sehen musste, die „ANINOVA“, eine große Tierschutzorganisation, aus einer Puten-Mast in Deutschland veröffentlichte. Puter, wundervolle, fühlende Lebewesen, wurden (und werden in Betrieben auch heute, während Ihr das hier lest), geschlagen, getreten und wie Müllsäcke durch die Gegend geworfen. Das Gefühl der Ohnmacht, an diesen Zuständen in der Industrie bis dato bei weitem nicht genug ändern zu können, begleitete mich während der Vorbereitung der Hühner-Übergabe.

Und dann kam der so schockierende Anruf vom Team vor Ort am Stall: nicht 600 Hennen, sondern lediglich 445, davon sogar noch neun sofort als „Pflegies“ aussortiert.

Was war passiert? Beim sogenannten „Raus-Schlachten“, also der Entnahme von Hennen, zur Vermarktung als Suppenhuhn im Hofladen, hat der Betreiber sich um mehr als 150 Hennen verzählt. Ca. 150 mal hat das Leben eines Tieres weniger gezählt als eine Suppenmahlzeit. Ca. 150 mal hat sich ein Mensch erhoben und gesagt: „Mein Appetit ist wichtiger als Dein Leben!“. 150 mal wurde der Tod eines fühlenden Lebewesens verdrängt und vergessen.

Was wäre los, wenn ich diesen Text über Hunde, Katzen oder andere sogenannte Haustiere schreiben müsste? Ein Aufschrei würde durchs Land gehen, die Menschen wäre auf den Straßen, würden diejenigen, die Hunde und Katzen auf den Grill legen, verfolgen und bestrafen. Alle stünden Schulter an Schulter und würden diese Tierquäler bekämpfen. Ihr merkt es oder? Irgendetwas stimmt nicht mit uns Menschen: Wir streicheln unserem Hund über den Kopf und erzählen jedem, der es hören will oder nicht, dass wir alles für diesen Hund tun würden. Danach wenden wir uns ab und legen ein paar Scheiben Fleisch und einige Würstchen auf den Grill … unser Gehirn sagt: „Passt schon, das waren ja nur „Nutztiere“.

NEIN! Der Begriff Nutztier ist vollkommen irreführend und falsch.

Eins der Pflegies ist bei mir gelandet. Trotz ihres dicken Bauches, verursacht durch Schichteier und einen Bauchdeckenbruch, hat sie von Sonntagfrüh bis Mittwochmorgen ihr neues Leben gefeiert. Sie hat in der Sonne gelegen und Grashalme gezupft, sie hat Leckerbissen genossen und Ruhe erlebt. Sie hat im Heu liegend geschlafen und frische Luft geatmet. Dann kam die knifflige Operation. Verwachsenes Gewebe und Entzündungsherde mussten lokalisiert und entfernt werden, dabei mit Präzision um die empfindlichen Organe herum mit dem Skalpell gearbeitet werden. Diese Operation war einfach ein Glücksspiel und doch unumgänglich. Die Kleine kam nach Hause und wirkte extrem schlapp. Sie war nicht zum Fressen oder Trinken zu bewegen und ich habe sie für den Abend in eine Kuscheldecke aufs Sofa gepackt. Später ist sie in besagte Decke gewickelt mit hoch ins Schlafzimmer gekommen, weil ich sie nicht alleine lassen wollte. Und jetzt sagt, dass das falsch oder bekloppt ist. Wo ist der Unterschied zwischen Nachbars Hund und dem kleinen Industrie-Huhn?

Um 4:10 am kommenden Morgen ist sie gestorben, innerlich verblutet. Und ich habe geheult wie ein Schlosshund, um ein Huhn, das ich gerade mal gute zwei Tage kannte.

Wir konnten am 6. Juli 447 Tiere retten. Dabei waren zwei Hähne, die nun eigene Hennengruppen haben. Neun Pflegies, von den zwei starben und die anderen sich noch in der Erholung befinden.

Wie immer gilt unser Dank allen Adoptanten, Rettern und Helfern, die dies überhaupt möglich gemacht haben.

Normalerweise ist dies ein Pressetext des Vereins, da er dieses mal aber sehr auf Krawall gebürstet ist, möchte ich nochmal betonen, dass sich meine eigene Meinung beim Schreiben sehr in den Vordergrund geschoben hat. Sollte sich jemand auf den Schlips getreten fühlen, kann er mich dazu gerne kontaktieren.